Das Befinden des Hundebesitzers im Moment des Stockwurfs

von Marian Freistühler

Es ist ein Loslassen auf Zeit. Eine verlässliche Wiederholung temporärer Schwerelosigkeit, die nie in derselben Flugbahn verläuft, aber immer auf derselben Erde endet. Wenn das Herrchen das Stöckchen wirft und sein Hündchen ihm folgt, nehmen zwei Spezies an einem Ritual teil, die sich hier, obwohl ihre Häupter samt Hirne der Schwerkraft im evolutionären Gang der Dinge und Wesen sichtlich verschiedene Höhen abringen konnten, auf Augenhöhe begegnen. Der Mensch fordert den Hund auf, loszurennen, der Hund den Menschen, zu werfen; beide parieren.

Das Potenzial des aufrechten Ganges liegt in der Freiheit der Hände. Präzise heben sie jenen Stock empor, der schon bald landet, wo das Maul des Vierbeiners nach ihm greifen wird. Die vorgesehenen Rollen in diesem zirkulären Spiel aus Aktion und Reaktion sind unbeweglich. Kein Mensch käme auf die Idee, loszurennen, kein Hund würde ihm amüsiert dabei zuschauen. Ohne Konkurrenz widmen sich die Spielkameraden genussvoll ihren jeweiligen Talenten. Im Meistern einer eindeutigen physischen Herausforderung kommen beide ihren animalischen Ursprüngen nahe: der Hund als ein domestizierter, der zivilisierte Mensch als ein domestizierender. Der Stock als unveredeltes Stück Natur mag einst ein gespitzter Speer gewesen sein auf dem Weg durch die Luft und das robuste Fell eines Mammuts. Oder aber ein Hase, mit großen Sätzen und ohne Chance fliehend vor einem Rudel Hundevorfahren.

Das im Haustier anwesende, Gezähmt-Animalische schätzt der Mensch, weil er sich darin wiederfindet. Dem Stolz auf den eigenen großen Wurf folgt der Stolz auf das eigene Tier. Das Stockspiel gönnt beiden den temporären Ausbruch triebgesteuerter Ekstase, den zu kontrollieren der Mensch für sich in Anspruch nimmt. Einem das Animalische dressierenden Zirkusdompteur gleich, behauptet er eitel die Kontrolle, auf dass er niemals mit offenem Mund und ausgestreckter Zunge nach Luft schnappe.

26. März 2016
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