Wann ist eine Bewegung interessant? oder
Warum filme ich eine Bewegung und eine andere nicht?
Arbeitsnotizen



Wenn ich eine Bewegung filme, dann nur, wenn ich eingeladen bin, sie zu beobachten. Das heißt, dass sie ein Publikum begrüßt und dass ich sie als erster Zuschauer ernst nehme. Ich möchte etwas gezeigt bekommen, das gezeigt werden will. Aber gleichzeitig nicht das Gefühl haben, dass es nur passiert, um mir etwas ganz Bestimmtes zu zeigen oder gar zu vermitteln. Mein Interesse an einer sich zeigenden Bewegung wird größer, wenn sie gleichzeitig etwas vor mir verbirgt. Oder, wenn die Art und Weise, wie sie gezeigt wird, gleichzeitig eine Form der Distanz wahrt.

Ich will darin etwas sehen können, das nur ich sehe. Und mich dann umschauen und wissen, dass ich nicht der einzige bin, der das sieht.

Ich muss genau hinschauen. Und dem Publikum mit der Entscheidung, wie ich eine Bewegung zeige, ermöglichen, genau hinschauen zu können. Das muss nicht zwangsläufig Nähe bedeuten, es kann gerade Distanz bedeuten. Das Publikum interessiert sich für das, was ich zeige, wenn es die bewusste Entscheidung spürt, genau das und zwar genau so zu zeigen.

Ich filme eine Bewegung nicht einzig zum Zweck eines dramaturgischen Fortschritts. (Eher begrüße ich die Ellipse.) Mich interessiert die Bewegung an sich. Das an ihr, was nicht interpretiert werden will. „Ich bin durch den Regen gerannt, hingefallen, aufgestanden und weitergegangen. Das ist keine Metapher, es ist einfach passiert. Auf dem langen Weg zurück zu dir.“

Mein Interesse gilt der konkret-individuellen Ausführung einer Bewegung (und eines Sprechaktes!) durch einen bestimmten Körper. Vielleicht liegt der Reiz in der Selbstverständlichkeit, die diese Bewegung besitzt, vielleicht in der Reibung, die dabei entsteht. Es geht nicht darum den einen, richtigen Ton zu treffen, sondern hinzuhören und Polyphonie zuzulassen. Die Körper machen lassen eher, als sie etwas fühlen zu machen. Sie spielen lassen und dabei zusehen. Das bedeutet auch, dass Schauspieler nie nur formbares Material für meinen Film sind, sondern dass sie es sind, deren Art sich zu bewegen den Film formt. Sie dürfen also bloß nicht zu wandelbar sein. Und doch alles spielen wollen. Eine Bewegung ist interessant, wenn sie eine selbstverständliche, tänzerische, spielerische Leichtigkeit besitzt. Wenn sie keinen Widerstand erfährt. Wenn sie ganz dieser eine Körper ist, den ich vor die Kamera holen wollte. Es gibt dieselbe Bewegung nicht von zwei unterschiedlich Personen. Und es ist unüberspürbar, wenn sich ein Körper wohlfühlt vor der Kamera.

Unser Körper hat kaum Grenzen. Die Grenzen sind die unseres Kopfes. Es ist ein Film, wir können alles machen. Aber das reicht nicht. Natürlich können filmische Körper alles machen. Doch es bleibt zeichenhaft, wenn sie nur Körper und noch keine Figuren sind. Wenn ich nicht ernstnehme, dass einer äußeren Bewegung eine innere vorausgeht. Erst dann würde der Körper zur Figur. Dann gibt es ein Risiko bzw. etwas, das auf dem Spiel steht.

Eine Bewegung, die nur Körper ist und nicht interpretiert werden will, läuft Gefahr, zu verstatischen und balanciert insofern am Rande zum Fetisch, als sie oberflächlich sinnlich berührt.

Eine Bewegung ist interessant, wenn sie auch eine Überwindung ist. Wenn sie eine Art von Widerstand erfährt.

Eine naturalistische Bewegung interessiert mich nicht. Jemandem dabei zuzusehen, der glaubhaft an der Bushaltestelle wartet, langweilt. Es braucht eine innere Bewegung. Eine Form der Konzentration oder Eigenheit, die eine Realitätsverschiebung sein kann – eine Alternative zu dem, was wir kennen. Eine dezente Überraschung. Truth of illusion statt illusion of truth.

von Marian Freistühler

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